Montag, 7. November 2016

Die zweite Woche: Das Praktikum beginnt

Nach einer einer ersten, anstrengenden Woche, in der ich die Projekte des Freundeskreises Hofheim-Tenkodogo kennengelernt habe, ging mein Praktikum bei OCADES Caritas in den letzten Tagen nun endlich los und so langsam fühle ich mich hier angekommen. Aber der Reihe nach…

OCADES Caritas Tenkodogo, mein Arbeitsplatz

Mittwoch, 2. November 2016: Abbé Dénis, mein Chef für die nächsten gut sechs Wochen, hat mich morgens eingesammelt und mit seinem Pickup sind wir ins Büro von OCADES Caritas Tenkodogo gefahren. Da er quasi ein Nachbar von mir ist, war das kein Problem. Bei OCADES wurde ich meinen Kolleg_innen vorgestellt, die sehr nett zu sein scheinen; Seini Sinare hat mich zum Beispiel direkt auf Facebook geaddet. Nach der Begrüßung hat Abbé Dénis mit mir über OCADES gesprochen. OCADES steht für Organisation catholique pour le Développement et la Solidarité und ist nichts anderes als die Caritas hier in Burkina Faso. OCADES kümmert sich dementsprechend um benachteiligte und arme Menschen, ihre Projekte drehen sich hauptsächlich um klassische Entwicklungshilfethemen wie Bildung (insbesondere inklusive), Alphabetisierung (in Burkina sind noch immer fast 70 Prozent der Bevölkerung Analphabet_innen) und Rehabilitation (da bin ich noch nicht ganz so dahinter gekommen, was das genau ist). 

Zudem haben wir ein bisschen über meinen Aufenthalt gesprochen und Grundsätzliches geregelt. Gearbeitet wird bei OCADES von 7 bis 12.30 Uhr und von 13.30 bis 16 Uhr, was mich erstmal getroffen hat; nicht weil es mit acht Stunden mehr als bisher angenommen ist, sondern dass es um 7 losgeht… Nach dem Schock habe ich mein eigenes Moped gekommen, jetzt bin ich endlich mobil und das Trainieren mit Paul hat sich ausgezahlt! 

Am Vormittag habe ich dann mit dem Abbé noch eine Tour durch Tenkodogo gemacht, bei der ich u.a. der örtlichen Polizei vorgestellt wurde. Außerdem haben wir die École Saint Vincent de Paul besucht, die unter anderem Kinder mit Sehbehinderungen unterrichtet. Dort werde ich unter Umständen auch einen Teil meiner Zeit verbringen und den Lehrer_innen helfen. Unser Verein hatte der Schule vor zwei Jahren einen Braille-Drucker geschenkt, wegen dem nun nicht mehr alles auf einer Schreibmaschine getippt werden muss. Dieser wurde von den Lehrer_innen als große Errungenschaft gelobt.

Nafo (Moore für 'Rind')

Donnerstag, 3. November 2016: Anders als am ersten Tag des Praktikums hatte ich am zweiten nicht besonders viel zu tun. Deshalb habe ich einige Daten über Burkina Faso zusammengesucht, die zeigen welch krasser Gegensatz in puncto Wohlstand dieses Land im Vergleich zu Deutschland ist:
Burkina Faso
Deutschland
Human Development Index (HDI): Platz 181/187 mit einem Index von 0,388
HDI-Platz 6/187 mit einem Index von 0,911
Pro-Kopf-Einkommen (2006): 449 US-Dollar
Pro-Kopf-Einkommen (2013): 44.999 US-Dollar; also das 100-fache!

Nach der Arbeit war ich noch mit zwei Kollegen, Bayala und Jerôme, ein Bier trinken. Dabei konnten wir uns super austauschen und Burkina und Deutschland vergleichen. Ich habe ihnen klar gemacht, dass Deutschland mehr als Bier und Oktoberfest ist und von unserm Ebbelwoi erzählt. ;)

Abends habe ich dann Paul vorgeschlagen, dass ich mit seinen Schülern auf dem Gymnasium im Deutschunterricht einen Workshop machen könnte (Danke für die Idee, Mama!). Er fand die Anregung super und so werde ich im Dezember also mit seinen Schüler_innen deutsche Lieder wie „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ und „Bruder Jakob“ singen und deutsche Spiele (Stille Post, …) spielen. Wer weitere Ideen hat, kann sie mir gerne mitteilen, danke!

Dorfplatz von Zéké

Freitag, 4. November 2016: Mit meinem Kollege Bayala war ich „sur le terrain“, also unterwegs in den Dörfern, die zu Tenkodogo gehören. Wir sind mit seinem Motorrad gefahren. Thema war der richtige und pflegliche Umgang mit dem Wasser aus den dortigen Brunnen. Das erste Dorf heißt Nama. Der Schulleiter einer dortigen Schule hat uns in Tenkodogo abgeholt, um uns den Weg zu zeigen, Wegweiser oder ähnliches gibt es nämlich nicht. Es waren ca. 40 Menschen gekommen, um sich von OCADES informieren zu lassen, hauptsächlich Männer und natürlich auch der Dorfchef; die haben eine herausragende Rolle und treten z.B. bei Streits im Dorf als Mediatoren auf. Die Frauen hielten sich mit den Kindern im Hintergrund auf, die Männer redeten, was meinen bisherigen Eindruck vom westafrikanischen Frauenbild stützte. Alles wurde in Moore, also der einheimischen Sprache, besprochen, weshalb ich rein gar nichts verstanden habe. Mein Kollege hat mir aber im Vorhinein und danach alles Wichtige berichtet. Französisch können auf den Dörfern nur die wenigsten. Wieder zeigte sich, dass fehlende Bildung eins der entscheidenden Probleme ist. Ich sehe hier eine Diskrepanz zwischen den Dörfern und der Stadt: In der Stadt sind die meisten höher gebildet. Der einzige Kommunikationsweg von OCADES mit den Dörfern sind also persönliche Gespräche. Kampagnen können aufgrund der Nicht-Verbreitung von Massenmedien nicht über diese geführt werden. Viele Dorfbewohner hatten aber Handys, mit denen auch viel telefoniert wird. Ich denke, die Lage hat sich durch die Ausbreitung von Mobiltelefonen deutlich gebessert.
Im Dorf wurde dann eine Association des Usagers de l’Eau gegründet, also eine Gruppe, die sich stellvertretend für alle Dorfmitglieder um die Instandhaltung der Brunnen kümmert. Sie eröffnet z.B. auch ein Konto, auf das jährlich alle Wassernutzer_innen einen kleinen Betrag einzahlen, damit ggf. Reparaturen usw. bezahlt werden können. 

Das zweite Dorf war Zéké. Dort mussten wir zwei drei Stunden auf den Termin warten, weil wir im ersten Dorf so schnell fertig waren, aber eine Rückfahrt nach Tenkodogo zeitlich nicht gepasst hätte. Also haben wir einen Mittagsschlaf gemacht, was auch nicht verkehrt war. Nach der Wartezeit, in der mir insbesondere aufgefallen ist, wie schlecht die Zähne der Dorfbewohner sind (hier könnte man evtl. auch ein Projekt machen), waren zwar einige Dorfbewohner_innen gekommen, aber nicht die Brunnen-Verantwortlichen, sodass wir das Gespräch leider absagen mussten. Bayala sagte, das sei ganz normal, er sei daran gewöhnt. Ich empfand es als eine Frechheit.

Ein toller Baum in Zéké

Nach der Arbeit war ich noch in einem kleinen Supermarkt (der einzige hier!) einkaufen. Als ich dann wieder losfahren wollte, bin ich mit dem Roller hingefallen. Die Leute haben mir direkt geholfen, was sehr nett war. Zum Glück ist auch zufällig Paul mit seinem Roller in dem Moment auch dort gewesen, der mich zu sich nach Hause mitgenommen und dort verarztet hat. Am Abend bin ich dann schon wieder Roller gefahren, außer zwei Schürfwunden ist zum Glück auch nichts passiert, obwohl ich keinen Helm (wie alle hier!) aufhatte.


Samstag, 5. November 2016: Ich habe mich hauptsächlich von einer anstrengenden Woche erholt, etwas gelesen und nachmittags das 1:0 der SGE gegen Köln per Internet-Radio auf dem Handy verfolgt. Natürlich hatte ich zu diesem Anlass mein schönes Eintracht-Trikot an. Hier tragen übrigens fast alle Kinder immer Trikots von den großen europäischen Fußballvereinen: Real Madrid, FC Barcelona, Atletico Madrid, BVB, Juventus Turin und leider auch Bayern (wenn die wüssten… ;)). Abends habe ich noch lange mit meiner Heimat telefoniert! ;)


Fröhliche Hessen überall!

Sonntag, 6. November 2016: Paul hat mich zum Essen mit seiner Familie eingeladen. Ich fühle mich immer etwas schlecht, dass seine Ehefrau so viel für mich macht (z.B. kocht sie oft für mich und wäscht meine Klamotten) und ich nur untätig in ihrem Wohnzimmer sitze, aber Paul sagte mir, das sei in Afrika normal („Il faut que tu apprennes vivre africain“). Nach dem Essen haben Paul und ich den Roller nach dem Sturz wieder ganz auf Vordermann gebracht!

Eine Schule in Garango

Montag, 7. November 2016: Eine neue Woche beginnt bei OCADES mit einer Zusammenkunft aller Mitarbeiter, die durch ein gemeinsames Vater-Unser-Gebet eingeleitet wird. Dann erzählt jede_r, was sie oder er in der letzten Woche gemacht hat und in der anstehen Woche vorhat. Das halte ich für sinnvoll, damit alle wissen, was so passiert. 

Rucksackübergabe

Nach dieser Runde bin ich mit meinen Kollegen Seini und Martine nach Garango, ein großes Dorf zu Tenkodogo gehörend, gefahren. Dort haben wir an den Schulen jenen Kindern, die entweder eine Beeinträchtigung oder deren Eltern sehr arm sind, Schulranzen mit den Unterrichtsmaterialien für das grade begonnene Schuljahr überreicht. Damit waren wir den ganzen Tag beschäftigt und morgen geht es noch weiter! Der Job war wirklich anstrengend wegen der Hitze, außerdem waren die „Straßen“ wirklich eine Zumutung. Seini tendiert zudem dazu, wie ein Henker zu fahren, sodass man keine ruhige Minute hatte. Auch die Rinderherden, die die Straßen auf den Dörfern blockieren, tragen nur kurzfristig dazu bei…

Nafos versperren den Weg

Das waren die Tagesberichte. Daneben möchte ich noch kurz ein paar allgemeine Dinge loswerden:

Wetter/Klima: Da es hier nun immer trockener wird, gibt es auch immer mehr Staub, wodurch der blaue Himmel nicht zu sehen ist, obwohl keine Wolke da ist. Gut, dass ich einen Mundschutz zum Rollerfahren habe! Nachts ist es mittlerweile nicht mehr ganz so warm, sodass man gut schlafen kann; tagsüber aber schwitzt man nach wie vor richtig viel, was zur Folge hat, dass man nur selten aufs Klo muss. ;)

Sprache: Da sich die meisten hier auf Moore unterhalten, fühlt man sich ziemlich ausgeschlossen. Wenn die Leute mit mir sprechen, klappt es aber mit dem Französischen immer besser.

Essen: An das Essen gewöhnen sich mein Magen und ich uns immer mehr, Reis mit Erdnusssoße ging heute zum Beispiel einwandfrei. Manche Sachen traue ich mich aber noch nicht und ich passe nach wie vor auf, was mir auf den Teller kommt!

Eine weitere Schule in Garango mit Bäumen, die den Kindern, Lehrer_innen und Tieren Schatten spenden

Wie fühlt man sich als Weißer? Ich bin ich hier weit und breit der einzige Weiße und man fühlt sich schon oft beobachtet, einfach weil man anders aussieht. Man wird aber in keiner Weise angefeindet oder abwertend behandelt, überhaupt nicht. Vielleicht wird man etwas häufiger angebettelt von kleinen Kindern, aber da muss man dann hart bleiben. Trotzdem ist der Gedanke daran, wie vor Krieg und Armut Geflüchtete bei uns in Europa von einigen Unmenschen behandelt werden, seit ich hier bin, allgegenwärtig.

Heimweh: Diesbezüglich hat sich mein Zustand deutlich verbessert. Natürlich vermisse ich meine Freundin und es ist toll, dass wir so regelmäßig telefonieren können. (An dieser Stelle muss man WhatsApp einfach mal danken.) Man merkt durch diese Erfahrung hier auch, wie gut es uns in Deutschland geht und dass bei uns auf einem sehr hohen Niveau gejammert wird. Ich weiß nun noch besser, dass ich niemals auswandern werde, weil ich das Leben daheim einfach liebe. Aber ich habe meine Situation akzeptiert. Noch sechs Wochen. Nicht mehr und nicht weniger.
So, es tut mir wirklich leid, dass der Eintrag wieder so lang wurde. Danke, dass ihr bis zum Ende am Ball geblieben seid. Meldet euch gerne mal bei mir!

A très bientôt

Jonas

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